Bewegungsfreiheit ist oberstes Gebot

02.12.2023

7 Minuten Lesedauer

Bewegungsfreiheit ist oberstes Gebot

Im Haus am Zoo in Saarbrücken verzichtet man auf den Einsatz von "Freiheitsentziehenden Maßnahmen (FEM)" - und das mit Erfolg.

Um zum Haus am Zoo zu gelangen, geht es erstmal steil bergab. Die Einrichtung direkt neben dem Saarbrückener Zoo liegt nämlich in einer Senke. Betritt der Besucher das Haus, fällt sofort die ruhige und entspannte Atmosphäre auf. Keiner wirkt gestresst, alle sind freundlich und entspannt.

Jeanette Geber und ihr Team arbeiten hier seit Eröffnung des Hauses im Herbst 2015 nach einem besonderen Konzept – sie verzichten völlig auf Fixierungen. „Die stressfreie Arbeitsweise ist vor allem für unsere Bewohner wichtig. Gerade demente und unruhige Bewohner reagieren auf Stimmungen. Stress und Hektik bei den Mitarbeitern würden sich sofort übertragen“, informiert Geber.

Das Konzept der Einrichtung sei an den Werdenfelser Weg angelehnt. „Wichtig ist, dass wir die Angehörigen auf unserer Seite haben. Wir informieren daher alle Beteiligten bereits vor dem Einzug eines Bewohners über unser Konzept“, so Geber weiter. Um Fixierungen zu vermeiden, werden für jeden Bewohner individuelle Alternativen getestet. Man setze vor allem auf spezielle Hilfsmittel wie Niederflurbetten, Sensormatten oder Walker. Gute Erfahrungen hat die Einrichtung vor allem mit speziell angepassten Rollstühlen, Keilen und Anti- Rutsch-Matten für Stühle sowie mit Sturzmatten vor den Betten gemacht.

Das ganze Team steht hinter dem Konzept. Neue Mitarbeiter werden schon im Vorstellungsgespräch auf die spezielle Versorgungsform hingewiesen. Für die entspannte Atmosphäre sorgt auch die individuelle Pflege. Wer länger schlafen will, kein Problem. Der Kühlschrank ist immer gefüllt und bietet sowohl für Langschläfer als auch für Nachtaktive jederzeit die Möglichkeit, sich zu stärken.

Der Verzicht auf freiheitsentziehende Maßnahmen werde durch die Tallage der Einrichtung begünstigt. Ein an Demenz erkrankter Bewohner verließ die Einrichtung immer wieder. Zu seiner Sicherheit erhielt er einen GPS-Sender. „Wir haben sein Verhalten beobachtet. Er ging immer zur nah gelegenen Baustelle und beobachtete die Bauarbeiten“. Seine Biografie ergab – er war früher Bauingenieur. Von da an wurde er täglich von den Mitarbeitern zur Baustelle begleitet, auch der Sender wurde auf diese Entfernung eingestellt. Weitere Maßnahmen waren nicht mehr nötig.

Die Einrichtung verzichtet auch, soweit möglich, auf die Gabe von Bedarfsneuroleptika oder Psychopharmaka. Dabei ist eine enge Zusammenarbeit mit Psychologen und Neurologen sehr wichtig. Oftmals erhalten Bewohner bei Einzug die falschen oder zu viele Medikamente. Da kann es schonmal passieren, dass ein neuer Bewohner erstmal in die Klinik gebracht wird, um ihn von den vielen Medikamenten zu entwöhnen.

„Angehörige sind oft überrascht, dass wir Medikamente reduzieren, statt weiter zu erhöhen. Das bedeutet für uns aber auch sehr viel Aufklärungsarbeit“, so Geber.

Es gibt aber auch Grenzen. Das Haus hat keinen beschützten Wohnbereich. Bewohner mit starker Hin- oder Weglauftendenz können deshalb nicht aufgenommen werden.

Das Konzept geht auf. Die Einrichtung ist im ganzen Saarland bekannt. Auch der Medizinische Dienst der Krankenkassen scheint begeistert. Geber und ihr Team erhielten das dritte Jahr in Folge die Note 1.0 und von Korian das „Goldene K 2018“.

Freiheitsentziehende Maßnahmen (FEM)

Sich frei zu bewegen ist das Recht eines jeden Menschen. Durch Fixierungen – freiheitsentziehende Maßnahmen (FEM) wird diese Freiheit eingeschränkt. Daher stellen sie eine besondere Form der Gewalt dar. FEM werden angewandt, um Stürze und Verletzungen zu vermeiden. Dabei sind mit der Anwendung auch Gefahren für die Gesundheit verbunden.

FEM dürfen nur zum Wohle einer Person angewandt werden und auch nur, wenn andere Möglichkeiten erfolglos blieben. Ohne Einwilligung des Pflegebedürftigen oder richterliche Genehmigung ist die Anwendung strafbar. Sie darf nicht länger als unbedingt nötig angewandt werden und muss immer wieder neu überprüft werden.

Zu FEM gehören zum Beispiel Bettgitter, Gurte oder Stühle mit Tischvorrichtung, einsperren oder jemanden in einen tiefen Sessel setzen, aus dem er alleine nicht mehr aufstehen kann. Rollstuhlbremsen die nicht selbst gelöst werden können oder auch Medikamente wie Schlafmittel oder Psychopharmaka, die ohne medizinische Notwendigkeit eingesetzt werden.

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Zuletzt Aktualisiert am: 10.06.2024

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