28. Juli 2022
Korian treibt Digitalisierung der Altenpflege voran
Interview mit Francois de Chalendar, Chief Information Officer bei Korian Deutschland
Korian Deutschland beschäftigt fast 23.000 Mitarbeitende und in rund 230 Pflegeeinrichtungen und 51 Ambulanten Diensten. Wie organisiert das Unternehmen die Umsetzung neuer digitaler Lösungen?
Korian fördert digitale Innovationsprojekte auf höchster Ebene: Es gibt einen Digitalisierungsausschuss, der unsere Spitzenprojekte koordiniert und begleitet.
Bei der Implementierung von Innovationen spielen zudem die verschiedenen Fachabteilungen eine wichtige Rolle. Einige Projekte werden beispielsweise von unserem zentralen Qualitätsmanagement geleitet.
Generell verfolgen wir den Ansatz, dass eine Digitalisierung nur um der Digitalisierung Willen für uns keine Option ist. Wir testen Innovationen zunächst auf ihre Praktikabilität, denn die digitalen Tools werden erst sinnvoll durch konsequente Anwendung. Deshalb informieren wir unsere Bewohner:innen und Angehörigen und schulen unsere Mitarbeiter:innen. Das hilft, Fähigkeiten auf- und Ängste abzubauen.
Um bestehende Projekte besser unterstützen und mit der Korian-Gruppe koordinieren zu können, sind wir gerade dabei, unsere IT-Abteilung zu verstärken.
Welche Digitalisierungsprojekte sind bereits umgesetzt und welche stehen als nächste an?
Bis auf wenige Ausnahmen sind alle unserer rund 230 Einrichtungen mit W-Lan ausgestattet. Das ist die wichtigste Voraussetzung für alle weiteren Digitalisierungsprojekte.
Zudem arbeiten unsere Häuser und Ambulanten Dienste mit einer EDV-gestützten Dokumentation. Als nächsten Schritt möchten wir unseren Pflegekräften die mobile Dokumentation ermöglichen.
Zu Beginn der Corona-Pandemie haben wir alle Häuser mit I-Pads ausgestattet. Dadurch konnten unsere Bewohner:innen zum Beispiel per Skype ihre Lieben zu Hause sprechen und sehen. Ein ganz wichtiger Punkt in dieser schwierigen Zeit.
Ein wesentlicher Aspekt, digitale Innovationen voranzutreiben ist die Kooperation mit Start-ups. Diese bringen die Innovationen, nach denen wir suchen, dafür ermöglichen wir ihnen die praktische Erprobung. Denn digitale Tools sind groß im Nutzen, aber meist auch sehr aufwändig in ihrer Entwicklung. Gemeinsam arbeiten wir an den Anwendungen, bis sie für die Fläche geeignet sind. Das ist der große Vorteil von Partnerschaften zwischen Start-Ups und großen, privaten Anbietern.
Gerne nenne ich ein paar Beispiele. Allen voran ist unsere „Besucher-App“ zu nennen die wir gemeinsam mit dem Start-Up W-AYS entwickelt haben. Mit der Anwendung können Besuche von Angehörigen besser koordiniert werden. Das entlastet
Mitarbeiter:innen und hilft im Fall einer COVID-19-Infektion die Kontaktpersonen schnell zu ermitteln. Für unsere Mitarbeiter:innen war dies in den Hochzeiten von Corona eine spürbare Entlastung. Die App kann nun auch von anderen Trägern genutzt werden.
Ein anderes Beispiel ist Lindera. Lindera ist eine App, die mittels Gangbildanalyse das Sturzrisiko bestimmt und zugleich mögliche Maßnahmen anbietet. Dadurch konnten wir die Zahl der Stürze in den Einrichtungen, in denen sie eingeführt wurde, um bis zu 60 % reduzieren. Wir haben die App gemeinsam mit dem Start-up Lindera dahingehend weiterentwickelt, dass die Daten nun direkt in die EDV-Dokumentation übertragen werden können – eine echte Zeitersparnis für unsere Mitarbeiter:innen.
Oder der Online-Lieferservice BringLiesel. Per App können unsere Bewohner:innen Produkte des täglichen Bedarfs ganz einfach aussuchen und bestellen. Der Einkauf wird direkt in die Einrichtung geliefert und von den Pflegekräften überbracht. Ein Angebot, das von Bewohner:innen, die nicht mehr selbst einkaufen können, sehr gerne angenommen wird.
Als weitere digitale Innovationen sind noch die E-Learning-Plattform der KORIAN-Akademie sowie die App „Super Nurse“ zu nennen. Beide Tools ermöglichen digitale Lern- und Weiterbildungsangebote. Damit können wir unsere Mitarbeiter:innen schnell, umfassend und dezentral schulen.
Gerade befindet sich In zwei Einrichtungen in Baden-Württemberg die telemedizinische Anwendung von MedKitDoc in der Testphase. Mithilfe dieser Plattform können Ärzte künftig einfach und effizient ihre in den Einrichtungen lebenden Patienten ergänzend zum Hausbesuch auch per Fernbehandlung untersuchen. Gleichzeitig wird sowohl den Bewohner:innen als auch den Pflegekräften der Zugang zu medizinischer Basis-Versorgung – vor allem zu Randzeiten – erleichtert. Unnötige Krankenhauseinweisungen können dadurch beispielsweise vermieden werden.
Auch in unseren anderen Ländern suchen wir nach digitalen Neuerungen und etablieren diese, wenn möglich, unternehmensweit. In Frankreich sammeln wir gerade erste Erfahrungen mit dem Thema Robotik, etwas das sicher auch für all unsere Standorte interessant sein dürfte.
Unser Ziel ist, all diese Einzelmaßnahmen zu einem übergreifenden Konzept zusammenzufügen. Denn Digitalisierung bietet die Chance, sowohl die Effizienz z. B. durch automatische für alle Beteiligten zugängliche Dokumentation als auch die Effektivität z. B. durch die permanente Gewährleistung von Nähe und Sicherheit auch in neuen Wohnformen deutlich zu steigern.
Wie finden Sie geeignete Start-Ups?
Korian hat mit Korian Solutions eine konzerneigene Digitalagentur, bestehend aus zwölf Experten. Diese testen digitale Lösungen und treiben Entwicklungen voran. Start-Ups können sich sehr gerne unter https://korian.startupflow.io/startup-form bewerben.
Welche Herausforderungen gilt es bei der Umsetzung der Digitalisierung zu meistern?
Die größte Herausforderung ist, eine gute W-Lan-Infrastruktur zu schaffen, denn sie ist die Grundvoraussetzung für zukünftige digitale Innovationen. In manchen Einrichtungen sind aufgrund dicker Wände, die die Konnektivität einschränken, umfangreiche Bauarbeiten nötig.
Auch die sehr hoch angesetzten Datenschutzbestimmungen, die sich zum Teil von Bundesland zu Bundesland unterscheiden, stellen eine große Herausforderung für das Vorantreiben der Digitalisierung dar.
Um die Potentiale der Digitalisierung auch im Pflege- und Gesundheitsbereich voll ausschöpfen zu können brauchen wir deshalb eine gemeinsame IT-Infrastruktur für alle Akteure. Ich nenne hier vor allem Schnittstellen wie Pflegeeinrichtungen, Ärzte, Therapeuten und Angehörige. Die Pflege muss zukünftig an die Telematik-Infrastruktur angebunden werden und Zugriff auf die elektronische Patientenakte erhalten.
Zudem benötigen wir einheitliche Daten-Standards und eine entsprechende Refinanzierung der nötigen Investitionen.
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