19. Mai 2023
Die Leichtfüßigkeit und die gerade Körperhaltung, mit der die Bewohnerin Frau K. die Küche betritt, lässt keine Zweifel übrig – sie war früher Balletttänzerin. Frau K. lebt zusammen mit 24 anderen Menschen in der geschlossenen Wohngruppe für an Demenz erkrankte Personen, die Mitarbeiterin Ramona Grewenig leitet.
Es ist typisch, dass Muster, die Menschen von klein auf erlernen und während eines langen (Berufs-) Lebens festigen, im Alter deutlicher hervortreten. „Und bei Demenz-Kranken ist das besonders stark der Fall“, sagt Maria Schreiber.
Maria Schreiber sitzt neben Grewenig und fühlt sich ebenso verantwortlich für die Gruppe, auch wenn sie das faktisch nicht mehr ist. Schreiber ist inzwischen Pflegedienstleiterin im Haus, aber die Wohngruppe hat sie mit aufgebaut und fühlt sich ihr immer noch sehr nahe.
„Hier zu arbeiten ist bestimmt nichts für jeden“, sagt sie, „der Arbeitsaufwand ist einfach höher, wenn man ausschließlich von Demenz-Patienten umgeben ist“.
Ein besonderer Umgang mit den Bewohnern
Nicht nur aus diesem Grund ist die Gruppe in der Einrichtung in Dahn etwas Besonderes. Auch der Stil, der hier gepflegt wird, ist außergewöhnlich. Beispielsweise mit Menschen umzugehen, die eine sogenannte Hinlauf-Tendenz haben, also den Impuls, eine ihnen vertraute Person anzurufen oder aufzusuchen und nicht zu verstehen, warum dies nicht geht, ist ein schwieriger Job. Diesen ausgeprägten Wunsch haben Demenzkranke häufig, er gilt dabei oft Personen, die nicht mehr leben oder sehr schwer zu erreichen sind.
Die Reaktion auf den Impuls entscheidet wiederum, wie der Mensch reagiert, der ihn äußert. „Wenn man Bewohnern Bitten wie diese abschlägt oder sagt, es sei nicht möglich, reagieren Sie nicht selten aggressiv, rastlos oder verzweifelt“, sagt Schreiber.
Deshalb haben die Betreuer in Dahn ihre Methoden. Die Grundidee dahinter: auf den Wunsch eingehen. „Wenn jemand seine Nichte anrufen möchte, wir aber wissen, dass diese arbeitet und nicht erreichbar ist, geben wir dem Bewohner trotzdem ein Telefonbuch an die Hand, damit er dem Wunsch nachgehen kann“ sagt Edith Boeck, eine der Mitarbeiterinnen. „Denn wenn wir das nicht tun würden, folgt oft eine unwirsche oder auch aggressive Reaktion“, ergänzt Grewenig.
Um möglichst sanft und spezifisch auf die Menschen einzugehen, sind prinzipiell zwei Aspekte besonders wichtig: gute Vorbereitung und viel Kommunikation. „Schon ganz am Anfang, wenn die Bewohner einziehen, wird ein Biografie-Bogen angelegt. Damit man schon mal weiß, was der Mensch für Vorlieben hat und in welchen Beziehungen er steht und stand“, sagt Schreiber.
Jeder Mitarbeiter hat dann Zugriff auf diese Informationen, die im Laufe der Zeit um neue Details ergänzt werden. Stellt sich heraus, dass eine Frau zum Beispiel in Kriegszeiten eine Vergewaltigung erlebt hat, kann das bedeuten, dass sie nicht von männlichen Pflegekräften betreut werden möchte.
Auch muss kontinuierlich dazugelernt und kommuniziert werden. „Wir hatte viele Schulungen in Demenz-Workshops, führen aber auch immer wieder Fallgespräche, um herauszufinden, wo Probleme herkommen und welche Lösung dafür zu finden ist“, sagt Schreiber.
Was das Beschützte Wochen im Haus am Kurpark, wo auch noch Stationäre und Kurzzeitpflege stattfinden, zudem ausmacht, sind Ausstattung und Freizeitprogramm. In den öffentlichen Räumen etwa stehen Möbel und Gegenstände, wie sie den Menschen aus ihrer Zeit vertraut sind: Plattenspieler, verzierte Sofas, Gemälde. Auch das Angebot in dem Pflegeheim gefällt: Es gibt einen Kleidermarkt, Fußpflege, einen Tante-Emma-Laden, in dem kleine Geschenke, Süßigkeiten und Pflegemittel gekauft werden können.
Darüber hinaus schätzen die Bewohner das gezeigte Extra-Engagement. „Man muss das gern machen, sonst kann man es nicht“ sagt Grewenig. Neulich ist sie mit einem Bewohner zum Einkaufen in die Stadt gefahren „und er hat die Scheibe heruntergekurbelt, den Fahrtwind gespürt und mir noch zwei Tage später davon berichtet, wie glücklich er in diesem Moment gewesen sei“, sagt die Gruppenleiterin. „Das machen wir demnächst wieder, dafür investiere ich auch gern ein Stück Freizeit“.
Fachliche Kompetenz, der liebevolle Umgang, die schöne Umgebung, die persönlich eingerichteten Räumlichkeiten, das abwechslungsreiche Beschäftigungsprogramm – all das stellt sicher, dass alle hier auch angesichts des Alters und der Krankheit Demenz ein selbstbestimmteres Leben führen können – egal, ob es der Postbote ist, der Landwirt, die Hauswirtschafterin oder die Balletttänzerin.