19. Mai 2023
Rosalinde Speckner ist eine sehr erfahrene Altenpflegerin; die 64-Jährige arbeitet seit 46 Jahren in ihrem Beruf und seit 2018 im Haus an der Paar im bayerischen Aichach. Die Erfahrung hat ihr geholfen mit einer Situation klarzukommen, die wohl niemand so vorausgesagt hätte. Unter anderem half diese Erfahrung, an den richtigen Stellen anpassungsfähig zu sein. Nur an einer Stelle nicht.
„Skype“, sagt sie und lacht, „an Skype werde ich mich nicht mehr gewöhnen.“ Ansonsten war die Telefonie mit Bild sehr wohl ein wichtiges Werkzeug, um Bewohnerinnen und Bewohner mit ihren Angehörigen zu verbinden. „Unsere Bewohner hatten ständig einen sehr guten Kontakt nach außen, neben Skype gibt es ja auch das Telefon und es wurden Briefe geschrieben, viel mehr als sonst“, berichtet sie.
Dass die Angehörigen, Bewohner und das gesamte Team die Situation so gut angenommen haben, hat für Rosalinde Speckner gleich vier Gründe: zum einen die Tatsache, „dass die Bewohner schon durch die Nachrichten sehr gut informiert waren. Sie wussten, was in anderen Ländern passiert und haben alle Maßnahmen entsprechend verständnisvoll aufgenommen.“ Zum zweiten: der Einfallsreichtum. In Nullkommanichts schaffte es das Team, ein Alternativ-Programm auf die Beine zu stellen, mit dem die hygienebedingte Isolation mehr als erträglich gemacht werden konnte.
„Das fing bei ganz profanen Dingen an“, berichtet Speckner, „wenn früher Angehörige mit unseren Bewohnern mit dem Rollstuhl in den Garten gegangen sind, haben wir das eben übernommen.“ Das ausgesprochen schöne Gelände mit seinen verschlungenen Wegen, Hochbeeten und Sitzgelegenheiten wurde auch Schauplatz von Konzerten. „Jede Woche hat entweder eine Blaskapelle gespielt oder ist eine Sängerin aufgetreten. Die Bewohner konnten von der Terrasse aus zuhören. Auch einen ökumenischen Gottesdienst haben wir dort abgehalten“, sagt Speckner.
Damit nicht genug. Im Garten wurde ein Maibaum aufgestellt, zum Tanz in den Wonnemonat kamen Mitarbeiter und Bewohner im Wohnbereich zusammen, dazu gab es etwas Sekt. Es fanden zudem Kegel-Nachmittage, Gymnastik-Programme und bayerische Brotzeiten statt. „All das haben wir in kürzester Zeit auf die Beine gestellt“, sagt sie und ein wenig Stolz klingt mit.
Sich selbst hat sie in dieser Zeit nicht viel gegönnt. „Ich habe sehr streng nach den Hygienevorschriften gelebt, bin nur alle 14 Tage einkaufen gegangen und habe in meiner Freizeit viel im eigenen Garten zugebracht“, erzählt Speckner. „Mein Mann ist sehr krank und deshalb Risikopatient, dazu der Job, ich habe mich sehr eingeschränkt. Meine Enkelin zum Beispiel habe ich seit dem Corona-Ausbruch bis heute nicht getroffen.“
Umso froher ist sie, dass es gelang, den Bewohnern eine schwierige Zeit so abwechslungsreich und sicher zu gestalten. Dafür sorgte auch der Einfall, mit Therapiehunden zu arbeiten. Zwei geschulte Labradore tippeln seit Corona regelmäßig durch die Flure und erfreuen Männer und Frauen, egal, ob die selbst mal Hunde hatten oder nicht. „Unsere Bewohner können die Hunde streicheln oder mit ihnen eine Runde durch den Garten drehen.“ Bemerkenswert findet Rosalinde Speckner auch den Effekt der Klangschalen, mit denen eine Kollegin Bewohner aufsucht und die Wirkung wohltuender Klänge spüren lässt.
Grund drei, warum im Haus an der Paar alles so gut lief: Die gute Kommunikation im Haus. Jeder hat mit jedem plötzlich noch besser kommuniziert. „Wir hatten schon vor Corona ein Top-Verhältnis zu den Angehörigen, die vielen Telefonate haben dazu beigetragen, dass sich das nochmal intensiviert hat“, sagt Speckner. Mindestens einmal pro Woche gibt es diesen Anruf, in dem darüber informiert wird, wie das jeweilige Befinden ist, welche Aktivitäten stattfanden und wie gut gegessen oder getrunken wurde. „Die wissen einfach von uns, dass wir nie mit der Wahrheit hinterm Berg halten, das hat sich jetzt in dieser Phase ausgezahlt.“
Auch untereinander klappte die Kommunikation besser denn je. Speckners Fazit: „Wir mussten einfach noch mehr ins Gespräch gehen als vorher. So kam es, dass die Betreuung nichts ohne Rücksprache mit der Pflege unternahm und wir nichts ohne Rücksprache mit der Betreuung.“
Und wie kompensiert man die Tatsache, dass mit dem Tragen einer Maske nicht zu sehen ist, mit welcher Mimik man einem Bewohner begegnet? „Das ist ein sehr interessantes Kapitel: Meine Bewohner haben beim Eintreten ins Zimmer zunächst gefragt, um welche Schwester oder Pflegerin es sich handelt. Aber schon nach einigen Tagen hatten die es raus, anhand der Stimmlage beim Guten-Morgen-Sagen zu erkennen, was einen umtreibt“, sagt Speckner. „Ich habe dann gefragt, ob ich nicht jeden Morgen auf die gleiche Weise ‚Guten Morgen‘ sage. Die Antwort: ‚Auf keinen Fall!‘“
Da war doch noch ein vierter Grund? „Ja, die tolle Unterstützung, die Bereitschaft, dass jeder jedem wirklich helfen wollte. Das gilt für alle hier, vom Team bis zur Leitung und dem Konzern. Ich ziehe den Hut vor allen!“
Was sich Rosalinde Speckner wünscht für die nächste Zeit? „Dass wir, die Bewohner und meine Kollegen das bis zum Ende bringen. Dass keiner von uns dieses Corona kriegt und wir einfach gesund bleiben. Mehr muss es nicht sein.“